Finger weg (Story)

Aus Schleierwelten
Version vom 2. Mai 2022, 00:25 Uhr von Andrew Parker Luis (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „Eli war schon ein paar Tage an Bord und konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, hier zu sein. Auch nahm sie es Matt noch immer übel, dass er ihr damit gedroht hatte, die Stimme zu nehmen. Zumindest dass er sie quer durch Chero als Sklavin geführt hatte, die dann auch noch zu allem Überfluss vom Tempel abgelehnt worden war, machte sie wütend. Nun war sie gezwungen, bei ihm zu leben, diesem Kalkgesicht. Was machte der eigentlich die ganze Zeit?…“)
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Eli war schon ein paar Tage an Bord und konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, hier zu sein. Auch nahm sie es Matt noch immer übel, dass er ihr damit gedroht hatte, die Stimme zu nehmen. Zumindest dass er sie quer durch Chero als Sklavin geführt hatte, die dann auch noch zu allem Überfluss vom Tempel abgelehnt worden war, machte sie wütend. Nun war sie gezwungen, bei ihm zu leben, diesem Kalkgesicht.


Was machte der eigentlich die ganze Zeit?


Sein Schiff war riesig. Ganze hundert Schritte lang, hatte er gesagt, ihr kam es viel mehr vor. Bisher hatte sie nur die Küche, sein Schlafzimmer und die Bugfenster gesehen, wobei zu sehen war da nichts, denn sie waren mitten im wabbernden Nebel. Er hatte es das Kampfgebiet der Elemente genannt. Hier würde sich das Feuer, die Erde, die Luft und das Wasser so sehr streiten, dass das Leben, das fragilste Element, keine Chance hatte. Als er das sagte, hörte er sich fast wie ein dreimal verfluchter Priester an, wenn er es nicht mit so viel Sarkasmus ausgespuckt hätte.


Eli war mehr als unzufrieden, vor allem weil Matt nach ihrem gemeinsamen Frühstück regelmäßig in den Eingeweiden des Schiffes verschwand und sie in diesen drei Räumen für Stunden alleine ließ. Von denen verbrachte sie viel in der Stahlkammer, wo sie unter den wachsamen Augen dieses Dings, was er Black Shadow nannte und dessen Art sie so noch nie gesehen hatte, ihrer Waffen zerlegte, reinigte und wieder zusammensetzte. Die waren das einzige, was sie aus ihrem alten Leben hatte mitnehmen können.


Was sie wirklich am meisten schmerzte, war der Verlust ihrer Bibliothek. Sie war zwar klein, aber es waren einige wirklich seltene Bücher dabei. Bücher, die zu besitzen in Chero so gefährlich war, dass man schon alleine dafür auf einem Sklavenmarkt enden konnte oder auf einem Scheiterhaufen. Auch ein Grund dafür, dass Einbrecher bei ihr ein kurzes Leben hatten. Sie nahmen ihr Wissen meist mit in ihr Grab und Eli kassierte ihr Kopfgeld. Aber jetzt könnte sich jeder ungestraft bedienen und wenn ein Priester von dieser Sammlung Wind bekäme, würde sie das höchste Kopfgeld aller Zeiten erhalten. Aber das war jetzt ja auch vorbei. Sie seufzte.


Sie betrachtete das Ding, dass ein Rennfed darstellen sollte, es aber nicht war. Sie hatte selber eines besessen, bevor es Matt freigeben hatte. Braungescheckt war es gewesen und würde jetzt wohl frei über die große Ebene tollen, wenn es keinen neuen Reiter gefunden hatte. Dieses Wesen hier hatte nichts von diesem Reittier. Das Fell war makellos schwarz und glatt und verlor es einfach nicht. In der ganzen Stahlkammer fand sich kein einziges Haar und dass Matt hier fegte, dass hatte Eli noch nicht gesehen. Es fraß auch nicht, jedenfalls kein Heu, dass es hier zwar gab, aber auf dem dieses Rennfed nie lag, es stand immer. Eli hatte noch gesehen, dass ein Rennfed immer gestanden hatte. Und dann waren da diese Augen. Rennfed hatten eigentlich normale braune Augen. Die von diesem Tier sahen wie die ihres Herrchen aus nur komplett rot in rot. Es wirkte, als wenn im Schädel des Tieres ein Feuer brennen würde und wenn es Feuer speien würde, hätte es Eli nicht gewundert.


"Du hast keine Bücher für mich, oder?", fragte sie irgendwann unvermittelt das leicht dampfende Wesen, dass an einem Hahn in der Wand nuckelte. Sie hatte eigentlich nicht gedacht, dass es reagieren würde. Als es nun stattdessen von seiner Tätigkeit abließ und sie vorsichtig aber bestimmt auf eine Tür zu schubste, fragte sie sich einmal mehr, was es mit dem Wesen auf sich hatte. Auf dem Weg, wo es Eli vor sich her drängte, kam sie an den Blasen vorbei, die das Schiff in der Luft hielt. Es sah aus wie ein Raum voller rasierter unter einer riesigen Kuppel schwebender vollkommen übermästerter Wokler, die hier festgebunden waren. Aber bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, kam sie in eine neuen geschlossenen Raum, der auch nicht eben klein war, aber dafür ihr Herz höher schlagen ließ: er hatte eine Bibliothek.


Augenblicklich stieg Matt in ihrem Ansehen um ganze zwölf Klaften an. Sie vergaß auch viel von dem Groll, dass sie ihre eigene Bibliothek hatte zurücklassen müssen. Sie wunderte sich etwas darüber, dass hier so ein Chaos herrschte. In der Mitte gab es einige Regale, die leer waren, genauso wie in den oberen Bereichen, dafür stapelten sich überall auf den Boden Berge von ihnen und dazu einige Kisten aus teurem Kumaloholz, das, wie sie wusste, speziell für den Buchtransport geeignet war. Für sie machte es keinen Sinn, in einem Raum der Bücher so mit den selbigen umzugehen. Sie überkam der Wunsch, dringend hier aufzuräumen.


Sie hatte sich gerade nach einer Ausgabe einer altpyranischen Bibel gebückt, als ihr Augenmerk auf ein erhabenes Pult im hinteren Teil der Bibliothek fiel. Lag da ein Buch in Ketten? Wer kettet bitte ein Buch an, in seiner eigenen Bibliothek? Wer sollte es von einem im Nebel herumfliegenden Schiff klauen? Vorsichtig trat sie auf das eigentlich eher unscheinbare Buch zu. Das Traumbuch der Schwesternschaft der Joğarı Quday stand auf dem Einband. Die Buchstaben waren in magischen Lettern in das Leder eingelassen und leuchteten sie verheißungsvoll an. Sie wollte gerade ihre Finger auf die Zeichen legen, da wurde sie von Matt überrascht.


"FINGER WEG VON DIESEM BUCH!"


Mit weit ausladenden Schritten war er bei ihr, zog ein schwarzes Tuch aus dem Pult und legte es über alles drüber.


"Warum bist du hier?", fragte er mit einer Spur von Vorwurf, der aber scheinbar nicht nur Eli galt.

"Mir war langweilig und dein - merkwürdiges - Rennfed hat mich hergeführt."

"Hat er das?", Matt sah sein Tier an, dass verlegen und nun total unschuldig von einer Seite zu anderen schaute. "Das war doch noch zu früh."


Matt warf ergeben die Hände in die Höhe.


"Na gut, wenn du dann eh schon hier bist, dann kannst du deine Bücher selber einsortieren."

"Meine was?", fragte Eli irritiert und folgte Matts Geste zu den Kisten. Vorsichtig öffnete sie die erste. Darin, sorgfältig in Sägespänen verpackt, lagen alle ihr Schätze.

"Ich war so frei, all dein Zeug einzupacken. Wäre doch echt schade, wenn diese in Hände fallen würden, die ihren Wert nicht zu schätzen wüssten."

"Du bist so toll", strahlte Eli und küsste spontan Matt, der damit überhaupt nicht rechnete und noch weniger umgehen konnte. Aber nur Sekunden später war er auch wieder abgemeldet, denn Elis Kopf tauchte in die tiefen der Kisten ab.


Mit einem Lächeln auf den Lippen verließ Matt die Bibliothek und führte Black Schadow wieder in die Stahlkammer.